Vollmond
Jetzt haben wir den Salat. Es ist Freitagabend, draußen ist es so stockfinster wie in der Schreibwerkstatt in meinem Kopf, und ich komme auf keinen grünen Zweig, mit welchem Thema sich pseudowortkreativ dem Duden das Fürchten lehren ließe. Natürlich könnte ich still und leise passen, aber das wäre feig. Unschlüssig starre ich den Laptop an und warte, ob er mir Inspirierendes zu sagen hat. Er schweigt mich trotzig an, wie immer, und ich frage mich, wofür ich das Ding eigentlich bezahlt habe. Keine Sorge, irgendwas werde ich jede Sekunde aus dem Handgelenk schütteln oder geht es langsam bergab mit meinem Ideensprühregen?
War da nicht diese bayrische Vergangenheit, die an der Nebenfront von Freundin B. mit SMS-Frontalangriffen erotische Turbulenzen auslöste? Dazu hatte ich doch in grauen Vorzeiten einen grenzgenialen Entwurf hingeschludert. Als ich den fünfachtelfertigen Text durchhechle, finde ich allerdings, dass Sätze wie „Ich hoffe, das mit uns ist noch nicht zu Ende“, die einen nach 25 Jahren Funkstille und einem unheilbaren Meteoritenkrater im Herzen in Gestalt einer Mobilbotschaft aus dem Hinterhalt anspringen, mehr zu einer emotionalen Geisterbahnfahrt passen als zu einem witzigen Freitagsblog und mich deprimieren. Ich könnte in der Not eine der älteren Geschichten aufwärmen, vielleicht die Frage, ob Michael Niavarani sexy ist oder ob man dem Verlust geliebter Menschen komisches abgewinnen darf ohne geschmacklos zu werden. Nein, Mikrowellenblogs will ich nicht servieren. Selbst bei scharfem Nachdenken fällt mir keine neue, unsägliche Peinlichkeit meinerseits ein, mittlerweile habe ich mich recht gut im Griff und meistere Fettnäpfchen bravourös. Der Rettungsanker, Facebook, manchmal ein Quell des um sich greifenden Irrsinns, bietet noch weniger als nichts. Eine Freundin teilt soeben zur Frage „Was ist dein Lebenszitat“ ihr Testergebnis und ich teste mich, um mich von dem Schreibdilemma abzulenken. Nametests sagt nach Analyse meines Profils: „Meine Ehrlichkeit bringt Menschen dazu, sich von mir abzuwenden. Das ist in Ordnung, denn die richtigen bleiben.“ Und was bitte soll ich damit nun anfangen? Also mal ganz ehrlich: ich muss nicht schreiben müssen, niemand muss müssen. Stattdessen könnte ich mit meinem Kater eine philosophische Grundsatzdiskussion vom Gartenzaun brechen, meine Fingernägel feilen, mich mit einem Buch in die Badewanne legen, ein Physik-Referat für den Spross ausarbeiten, Latein-Vokabel auf Französisch übersetzen oder einen Urlaub buchen. Gar keine schlechte Idee. Es ist höchste Zeit zu verreisen. Wohin? Kapstadt, Capistrano, Venedig?
Nein, nein, nicht abdriften, keine Ausflüchte, jetzt reiß dich am Riemen, Lili, leg Lippenstift auf, schenk dir ein Glas Rotwein ein und hab endlich einen Blogfunken. Von hinten beschleicht mich der bestürzende Gedanke, mein Leben könnte langweilig geworden sein. Im selben Moment huscht von rechts außen ein Mail von Freundin S. in meinen Posteingang, die gerade verzweifelt, weil sie die Visitkarte des unerwartet netten Mannes nicht mehr findet, der ihr letztes Wochenende vor das Mountainbike gesprungen ist. Fix, zu blöd, wenn sie wenigstens Dramatisches aus ihrem Liebesleben zu berichten hätte, könnte ich abschreiben, aber nein, die Visitkarte muss sie verlieren! Ein letzter Versuch, Musik, Rosenstolz hilft sonst immer. Heute nutzt nicht mal das, es macht die Leere nur schlimmer. Sollte ich es mit Liedtexten versuchen? Neuerdings ist das nobelpreisverdächtiger als blogless Friday Nights. Es muss an dem heraufziehenden Vollmond liegen. Der Gedankenkreisestörer ist schuld an meiner erschütternden Einfallslosigkeit. So, aus, Schluss, Ende, genug, es reicht, morgen ist ein neuer, guter, superguter Tag, ich gebe für heute auf und gestehe mir ein: es wird nichts mehr mit dem Blog. Und nicht dass einer auf den abstrusen Gedanken kommt, das könnte ein Blog sein.